Sonntag, 30. Juni 2024

Eliza Orzeszkowa

Eliza Orzeszkowa auf einer anonymen Fotografie von 1904

Eliza Orzeszkowa wurde am 6. Juni 1841 in Milkowszczyzna b. Grodno (Polen) geboren.

Sie war die Tochter des adligen Gutsbesitzers Pawlowski. Erzogen wurde sie zu Hause, von 1852-57 dann in einem Warschauer Klosterinternat. 1858 heiratete sie den Gutsbesitzer Piotr Orzeszko, der infolge des Aufstandes von 1863 nach Sibirien verbannt wurde. Mit ihm lebte sie auf einem Landgut in Polesien. Die Ehe endet unglücklich und wird 1869 geschieden; Eliza lebt dann sehr gesellig auf Gut Ludwinow und gründete eine Dorfschule. Von 1879-1882 arbeitete sie für einen Verlag in Wilna. 1894 heiratete sie ein zweites Mal, doch der Mann starb kurz darauf, sie selbst wurde herzkrank.

Am 18. Mai 1910 starb Eliza Orzeszkowa in Grodno.

Ab 1864 führte sie naturwissenschaftliche Studien durch. Nach der Scheidung ging es in ihren Romanen um die Unterdrückung intellektueller Frauen durch verständnislose Männer.

Henry Thomas Buckle, Herbert Spencer und John Stuart Mill beeinflussten

Eliza Orzeszkowas Überzeugung von der „Nützlichkeit“ der Literatur. Diese erläuterte sie 1866 in dem Artikel „Kilka uwag nad Powie´scia“ (Einige Bemerkungen über den Roman) und 1873 in den „Listy o literaturze“ (Briefe über Literatur).

Sie schrieb gegen feudale Anachronismen, die Unfreiheit der Frauen und die Diskriminierung ganzer sozialer Gruppen. Und sie schrieb den ersten Frauenroman der polnischen Literatur: „Marta“ (1873).

Allgemeine Anerkennung bekam sie dann aber erst 1874 mit „Eli Makower“, einer Erzählung, die in die Tiefen der polnisch-jüdischen Beziehungen dringt und auch künstlerisch gelungen ist.

Bisher prägten ihre Bücher die Hoffnung auf Erneuerung durch die bürgerliche Intelligenz. Später änderte sich das in Skepsis gegenüber der industriellen Entwicklung bis zur Hinwendung zu national-geschichtlichen Themen.

Ihr „Brief an die deutschen Frauen“ von 1900 gilt als Meilenstein der polnischen Frauengeschichte.

Ihr Werk ist vom Gedanken tiefster Humanität durchdrungen.


Werke

Marta


Eliza Orzeszkowa: Marta

Klappentext
Mit dem kleinen Roman „Marta“ gelang der polnischen Schriftstellerin Eliza Orzeszkowa (1841–1910) vor über hundert Jahren der Durchbruch zu weltweiter literarischer Anerkennung. Die Geschichte der Marta Swicka, die, aus „gutem Hause“ stammend, in der Wärme wohlbehüteter Verhältnisse aufgewachsen, sich plötzlich gezwungen sieht, für sich und ihr Kind einen ermüdenden Kampf um die nackte Existenz zu führen, nahm die Autorin zum Anlass, den Finger auf die unhaltbare Rechtlosigkeit der Frau in der bürgerlichen Gesellschaft zu legen. Mit dem unbestechlichen Blick des Realisten, mit dem sie sich in ihren späteren Werken, wie der „Hexe“ (1885) oder dem „Njemenfischer“ (1888), liebevoll auch der Gestalten des einfachen Volkes annimmt, unterzieht sie die vom Mann bestimmten Konventionen, Klischees und Denkgewohnheiten einer spöttischen Kritik und mißt diese an den hohen Idealen des bürgerlichen Humanismus. Die damals knapp dreißigjährige Schriftstellerin, die heute neben Boleslaw Prus und Henryk Sienkiewicz zu den Begründern des Realismus in der polnischen Prosa zählt, konnte sich dabei auf eigene bittere Erfahrungen berufen, die sie sammeln musste, ehe sie in ihrer Heimat als bedeutendste Autorin des 19. Jahrhunderts gefeiert wurde.


Buchbeginn
Das Leben der Frau ist eine ewig brennende Liebe - sagen die einen.
Das Leben der Frau ist Hingabe - sagen die anderen.
Das Leben der Frau ist Mutterschaft - rufen die dritten.
Das Leben der Frau ist ein Spiel - scherzen noch andere.
Die Tugend der Frau ist blindes Vertrauen - sagen einmütig im Chor alle zusammen. Die Frauen glauben blind; sie lieben, opfern sich auf, erziehen die Kinder, amüsieren sich... sie erfüllen also alles, was die Welt von ihnen erwartet, und dennoch sieht sie die Welt ein wenig scheel an, von Zeit zu Zeit wendet sie sich an die Frauen in Form eines Vorwurfs und einer Mahnung:
"Schlecht steht es um euch!"

Verlag der Nation 1990

 

Donnerstag, 27. Juni 2024

Füruzan: Logis im Land der Reichen

Wie eine türkische Schriftstellerin das Leben ihrer Landsleute in Deutschland sieht

Klappentext
Seit zwanzig Jahren leben und arbeiten Türken in der Bundesrepublik: Heute sind es eineinhalb Millionen Menschen. Mit vielen Hoffnungen und Erwartungen sind sie in das fremde Land gekommen, doch zahlreiche Probleme sind entstanden, sowohl für das "Gastland" Bundesrepublik als auch für die Türken selbst. Füruzan, eine renommierte Schriftstellerin aus Istanbul, war 1975/76 in der Bundesrepublik, um in Erfahrung zu bringen, wie ihre Landsleute hier wirklich leben: als "Gäste" im Land der Reichen? Ihre Reise begann in Berlin, und der erste Eindruck machte sie betroffen: Die mitunter blinde Verehrung Deutschlands steht in krassem Widerspruch zu den tatsächlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen. In vielen Gesprächen begegneten ihr Unvereinbarkeiten, die nicht zuletzt durch die Mentalitätsunterschiede begründet sind. Den aggressiven Vorurteilen der Deutschen stehen die kulturellen Verwurzelungen der Türken gegenüber, so daß etwa die Forderung nach Anpassung und Integration zur Forderung nach Selbstverleugnung wird.
Neben Berlin, wo Füruzan vor allem mit Kindern und Lehrern zusammentraf, machte sie Station im Ruhrgebiet, um mit türkischen Bergarbeitern zu sprechen und ihre Wohnheime zu besuchen. Auch hier bot sich ein wenig optimistisches Bild. Füruzans kritische Wachsamkeit und vor allem ihre sensible Beobachtungsgabe machen diese Reportagen zu einem wichtigen Beitrag in der gegenwärtigen Diskussion. Sie helfen, vorschnelle Urteile und Meinungen zu entlarven und tragen zur Verständigung bei.

Buchbeginn
Die Maschine setzt zur Landung in Berlin an, eine Panam, nach Zwischenlandung in München. Wo ist die Trennungslinie zwischen Vorurteil und reiner Beobachtung? Die berühmte deutsche Sauberkeit, hatte die nicht schon vor dem Lufthansa-Schalter in Yesilköy begonnen? Und nun, ab München, diese sauberen Deutschen, hauptsächlich Geschäftsleute, die gleich nach dem Getränkeservice ihre Akten aus dem Koffer nehmen und darin arbeiten, und ältere, aber rüstige deutsche Damen. Und dieses korrekte "Bitte", "Danke", die einzigen Wörter, die ich in dem um mich herum gesprochenen Deutsch unterscheiden kann und die ich, ziemlich oft und gedankenlos angebracht, immer wieder hören werde.

dtv Sachbuch
Deutsche Erstausgabe September 1985

Füruzan

 Die türkische Schriftstellerin Füruzan ist nur unter ihrem Vornamen bekannt. Am 29. Oktober 1935 wurde sie in Istanbul geboren. Sie entstammt einer Arbeiterfamilie und da der Vater früh starb, hatte sie keinerlei Möglichkeit für eine höhere Schule oder gar ein Studium. Ab Mitte der 1950er-Jahre veröffentlichten verschiedene Zeitschriften von ihr geschriebene Erzählungen und Kurzgeschichten. Später folgen Romane, die anscheinend nicht ins Deutsche übersetzt wurden. In der DNB finde ich nur "Frau ohne Schleier" (dtb, Aufbau), "Logis im Land der Reichen" (entstand während eines Aufenthaltes von 1975 bis 1981 in Deutschland, wo sie Reportagen über das Leben türkischer Arbeitsmigranten schrieb) und das Kinderbuch "Vom rotgesprenkelten Spatzen" (Kinderbuchverlag).

Bücher

Logis im Land der Reichen

Dienstag, 25. Juni 2024

Marlen Haushofer: Die Tapetentür

Inhalt
"Manchmal weiß ich, daß ich ein Mensch bin, der angefangen hat, auf einem Seil zu tanzen, ohne es gelernt zu haben. Natürlich werde ich abstürzen."

Eine junge Frau lebt allein in der Großstadt. Sie hat Liebhaber, Freunde und Freundinnen, aber der immer gleiche Ablauf der Affären langweilt sie, die Distanz zur Umwelt wächst, begleitet von einem Gefühl der Leere und Verlorenheit. Als sie sich leidenschaftlich in einen Mann verliebt, schwanger wird und auch heiratet, scheint die Flucht in ein "normales" Leben gelungen...

Buchbeginn
Am Abend des 1. September suchte Annette ein kleines Restaurant in der Inneren Stadt auf. Sie hatte sich mit Alexander für halb sieben verabredet, es war aber vorauszusehen, daß er nicht vor sieben erscheinen werde, ja es mochte sogar noch später werden. Alexanders chronisches Zuspätkommen war übrigens kein Zeichen von mangelndem Interesse, sondern entsprang seinem schlecht ausgebildeten Zeitsinn, und Annette hatte sich längst daran gewöhnt; es war ihr im Grund sogar ganz angenehm, eine halbe Stunde mit ihren Gedanken allein zu sein.

Zitate
Wirklich ist nur der Augenblick, die Rose in der gelben Vase, Straßenlärm, ein Gesicht im Vorübergleiten und manchmal, als bleibe die Zeit einen Atemzug lang stehen, das Gefühl, aus der blinden Dunkelheit komme etwas auf mich zu - ein Gutes, ein Böses, ich weiß es nicht, ich spüre nur, daß es unterwegs ist, um mich zu holen, und dieses Wissen macht mich ganz ruhig und leer.

... - andererseits wenn jeder Mensch sich tatsächlich gerade um den winzigen Kreis sorgen würde, der ihn angeht, wäre das nicht ein paradiesischer Zustand, der die meisten Wohlfahrtseinrichtungen überflüssig werden ließe?

Welche Mißverständnisse! Gregor behauptet, er bewundere an mir meine Natürlichkeit. Wenn er wüßte, was mich diese Natürlichkeit kostet und welche Kunst dazugehört, sie zu entwickeln. Es ist mir ja klar, daß er mich als die, die ich wirklich bin, nicht lieben könnte. Schon die leiseste Andeutung, wenn nur für Sekunden mein wahres Ich aus dieser Natürlichkeit schimmert, weckt in seinen Augen ein Unbehagen, dessen er sich nur nicht bewußt wird. Noch nicht.

Wozu gehörte man eigentlich dem schwachen Geschlecht an, wenn man seine Schwäche nie zeigen durfte? Tat man es, so konnte man ebensogut hingehen und ins Wasser springen, so gewiß hatte man das Spiel verloren.

Es gibt Gedanken, die ich nicht niederschreibe aus der abergläubischen Furcht heraus, sie könnten Gestalt annehmen und Wirklichkeit werden.


Ich kenne bisher keine andere Autorin, die so zeitlos schreibt, wie Marlen Haushofer.

                                                                                       Anne-Marit Strandborg
 

Montag, 24. Juni 2024

Fanny Lewald: Jenny

Klappentext

Aus Angst, den geliebten Mann zu verlieren, wagt die attraktive und verwöhnte Jenny, Tochter eines jüdischen Kaufmanns, den folgenschweren Schritt und tritt zum Christentum über. Einer Ehe Jennys mit ihrem Geliebten Reinhard steht nun nichts mehr im Wege. Für den begabten, geistreichen Maler Erlau ist damit entschieden, daß er Jenny niemals erringen kann. Er verläßt deshalb Deutschland und sucht in Italien Vollendung in seiner Kunst zu erreichen.

Vergebens bemüht sich Jennys Bruder, ein tüchtiger Arzt, um Fräulein Horn und sinnlos ist der Tod des Grafen Walter, der in einem Duell fällt. Ihm hätte Jenny gleichgestellte Partnerin sein können, nachdem sich ein ständiges Zusammenleben mit Reinhard, der ihre Persönlichkeit nicht zu schätzen wußte, für sie als unerträglich erwies. Sie vermochte nicht der "Efeu" zu sein, der sich um die "Eiche" rankt.


Nationale Überheblichkeit, Kastengeist und Vorurteil zerstörten das Glück des einzelnen - das in Zukunft zu verhindern, ist der Autorin eindringliches Anliegen.


Die Autorin

Fanny Lewald (1811-1889) stammt aus einer angesehenen jüdischen Kaufmannsfamilie, trat 1828 zum Christentum über und nannte später diesen Schritt die einzige Lüge ihres Lebens. In ihrem Salon in Berlin verkehrten bekannte Persönlichkeiten: Liszt, Alexander von Humboldt, Spielhagen, Gottfried Keller, Fröbel, Fürst Pückler-Muskau, Ferdinand Lassalle, Franz Duncker, Marie von Ebner-Eschenbach.

Bewußt setzte sich Fanny Lewald mit den Fragen ihrer Zeit auseinander. Wie in dem 1842 erschienenen Roman "Jenny", so befaßte sie sich in ihrem Gesamtwerk (sie schreib u. a. "Clementine", "Wandlungen", "Die Familie Darner", "Benvenuto") immer wieder mit den beiden Problemkreisen, die sie persönlich sehr stark betrafen: Befreiung der Frau aus sozialer Mißachtung und Gleichberechtigung des Judentums. In ihrer Zeitkritik erreicht sie das Niveau liberaler Vormärz-Opposition, und "Jenny" wird mit Recht als der erste "engagierte Frauenroman" bezeichnet.


Buchbeginn

Bei Gerhard, dem ersten Restaurant einer großen deutschen Handelsstadt, hatte sich im Spätherbst des Jahres 1832 nach dem Theater eine Gesellschaft von jungen Leuten in einem besonderen Zimmer zusammengefunden, die anfänglich während des Abendessens heiter die Begebnisse des Tages besprachen, allmählich zu dem Theater und den Schauspielern zurückkehrten und nun in schäumendem Champagner das Wohl einer gefeierten Künstlerin, der Giovanolla, tranken, welche an jenem Abende die Bühne betreten hatte.

Buchverlag Der Morgen, 1. Auflage 1967
Mit einem Nachwort von Therese Erler


Mittwoch, 19. Juni 2024

Else Feldmann: Flüchtiges Glück - Reportagen aus der Zwischenkriegszeit

Else Feldmann wurde am 14. Juni 1942 von der Gestapo verschleppt und am 17. Juni 1942 im Vernichtungslager Sobibor ermordet.

 

Klappentext

Else Feldmanns Berichte und Reportagen aus der Zwischenkriegszeit sind eine Schatzkiste voll mit den wundervollsten, traurigsten und wahrhaftigsten Geschichten, die das Leben in der Großstadt zwischen 1919 und 1938 schreiben konnte. Mit einem ebenso warmherzigen wie schonungslosen Blick erzählt die engagierte Sozialreporterin der Arbeiterzeitung von flüchtigen Momenten des Glücks, von der Armut, dem Elend, den Hoffnungen und Träumen in den Proletarierbezirken. Diese erstmals in Buchform publizierten Texte heben Else Feldmanns Werk mühelos auf eine Stufe mit dem von Max Winter, Heinrich Zille oder Käthe Kollwitz.


Buchbeginn

"Das Volk muss vor sich selbst erschrecken!"

Dieses Wort von Karl Marx - von Else Feldmann in einem Brief aus dem Jahre 1925 an den Kulturredakteur der ,Arbeiter-Zeitung' in Wien, Dr. Otto Koenig zitiert - könnte als Motto über dem Lebenswerk dieser Schriftstellerin stehen, die erst Dank der Wiederveröffentlichung dreier ihrer Hauptwerke ("Der Leib der Mutter", 1993, "Löwenzahn", 1993, "Martha und Antonia", 1997) einem mehr als ein halbes Jahrhundert währenden Vergessen- und Ausgelöschtseins entrissen werden konnte. Namhafte Rezensenten im gesamten deutschen Sprachraum begrüßten geradezu enthusiastisch die Entdeckung dieser Autorin der Zwischenkriegszeit, die - ohne jede Beschönigung und ohne sentimentalen Blick - die Elendsquartiere ihrer Epoche beschreibt und ihre dunkelsten Winkel ausleuchtet, zugleich aber die Möglichkeit einer Veränderung der Verhältnisse postuliert...